(c) tina doerwald 2011
  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 


© Tina Doerwald 2012/2023

Kurzgeschichten


 

 

 

 

tina doerwald 2019

"Hallo Schatz!
Glaubst Du wirklich, dass ich einen IQ von einer Scheibe Knäckebrot habe?"
"???"
"Ein Knäckebrot hat 7"
"Aha ..."
"Mit Marmelade 8"
"Mit Leberwurst?"
"6"
"Wieso?"
"Du sollst keine Wurst essen!"
"Hahahaha"

tina doerwald 2023

Wer andern eine Grube gräbt, ist selbst ein Schwein

Es waren einmal ein Pferd und ein Löwe. Das in die Jahre gekommene Ross lebte seit langer Zeit alleine. Es sah sich selbst als unwiderstehlichen Vollbluthengst. Es nahm sich, was es brauchte und tolerierte zeitweilig Ponys neben sich, die austauschbar waren und zuverlässig die ihnen zugedachten Aufgaben erledigten. Das aktuelle Kleinpferd hielt sich im Hintergrund, es ertrug geduldig, wie viele andere Tiere, Demütigungen und Kränkungen. Zu seinen wenigen Freunden gehörte der Löwe, den er vor Jahr und Tag versorgt hatte. Zum Dank lebte das Pferd sorglos am Rand des fruchtbaren Löwenlandes. Viele Jahre später war der alte Kater von einem Büffel aufs Horn genommen worden, so traf das Pferd den Verletzten an. „Löwe, was hältst du davon, wenn ich dir Futter besorge, dich gesund pflege und ab sofort dein einziger Freund bin. Dafür vermachst du mir dein ganzes Land.“
„Abgemacht!“ Der ausgehungerte und durstige Löwe war froh etwas zu fressen zu bekommen, denn seine Wunde am Hinterlauf sah böse aus und hinderte ihn am Jagen.
Das Pferd ließ das Pony einen großen Berg Heu herbeischaffen und vor dem Löwen ausbreiten. „Hör zu: Fleisch ist für deine Wunde nicht optimal. Willst du gesunden, musst du ab jetzt Heu und Gras fressen. Deine Freunde und deine Familie brauchst du auch nicht mehr, du hast ja mich.“
Das Pferd wusste, dass der Löwe seine Lebensversicherung war. Das Raubtier war zu schwach, um sich gegen den Vorschlag zu wehren und zudem beeindruckt, dass der Gaul sich ein zweites Mal um ihn kümmerte. Er ging mit dem Löwen zum Fluss und wieder zurück zum Fressplatz. Er stellte dem Löwen das Pony zur Seite, ließ es fortan den Verletzten versorgen und schaute nur sporadisch vorbei. Der Freund erholte sich zwar, litt aber unter der verordneten Einsamkeit. Die anderen Tiere beobachteten sie und bewunderten anfangs die Hilfe des Pferdes. Später merkten sie, dass er den Löwen überforderte. Sie wagten nicht, ihm zu helfen, sondern zogen sich zurück. Einzig das unscheinbare Hängebauchschwein mit Borsten, die kreuz und quer vom Körper abstanden, sah dem absurden Treiben des vermeintlichen Helfers mit Besorgnis zu. Seine Wege und die des Pferdes, hatten sich in der Vergangenheit ab und zu gekreuzt. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte das Schwein das Pferd aus einer Felsspalte befreit, wo es jämmerlich zu verdursten drohte.
„He Pferd, warum versorgst du deinen Gefährten nicht mit Fleisch?“
„Papperlapapp, der Löwe kommt schon klar, seine Wunde ist fast verheilt.“ Das Pferd überlegte kurz. „Wirf‘ dich meinem Kumpel zum Fraß vor. An dir ist eine Menge dran.“
„Unsinn, mich frisst er nur einmal, wenn du erlaubst, hole ich ihm tote Mäuse und Ratten, die sind hier leicht zu finden. Zusammen könnten wir ihm fabelhafte Dienste leisten.“
Das Pferd stimmte halbherzig zu. Ab und zu etwas Fleisch würde den Kater nicht wieder zum König machen, aber es würde ihn am Leben erhalten. Das gutmütige Schwein rannte sofort los und holte ihm allerlei totes Getier. Der Löwe fasste Vertrauen. Langsam kehrten seine Kräfte zurück. Dem Gaul missfiel diese Beziehung. Früher waren das Schwein und er Freunde, denn er schätzte den kreativen Kopf und seine Fähigkeit Probleme solange zu betrachten, bis es eine zufriedenstellende Lösung fand. Dann war die Freundschaft gekippt, das Pferd nahm die mitfühlende und zugewandte Art des Schweins als Provokation wahr, es konnte sich nicht vorstellen, dass das Schwein es mit all seinen Fehlern und Macken akzeptierte, die hochmütige Art aushielt und darüber lachte. Damit befand es sich in bester Gesellschaft, vielen Tieren war das Schweinegemüt suspekt. Das Tier war rücksichtsvoll, hilfsbereit und zuverlässig, mied Streit, aber hielt ihnen einen Spiegel vor, denn es sagte meistens die Wahrheit und schoss dabei ab und an über das Ziel hinaus. Nun aber zeigte das Schwein seine liebevolle, sorgende Seite und half dem Löwen, wo es konnte. Das Pony und das Pferd nahmen wenig Rücksicht auf den Kranken, der Löwe musste weiterhin zur Wasserstelle hin- und zurücklaufen, obwohl er ängstlich um Rücksicht bat.
„Weißt du was, hau ab und kümmere dich um dich selber. Der Löwe ist MEIN Freund und ICH kümmere mich um ihn. Verschwinde und lass dich nie wieder blicken.“ Anstatt selbst zu ihnen zu gehen und das Schwein zur Rede zu stellen, ließ das Pferd diese Nachricht dem Schwein durch das Pony übermitteln. Auch das Pony konnte seine Abneigung nicht verbergen und stampfte wütend mit den Hufen. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, jagte es das Schwein durch die Gegend. Es brach vor Erschöpfung zusammen und blieb atemlos liegen. Laut wiehernd bäumte sich das Pony zu voller Größe auf und verschwand. Das Schwein erholte sich nur langsam von der wilden Hatz. Am fünften Tag flog ein kleiner Vogel zu ihm. „Hallo Schwein. Der Löwe vermisst dich, hat unerträgliche Schmerzen und Hunger.“
Traurig grunzte das Schwein. „Ich darf nicht zum Löwen. Das Pony wird mich wegjagen.“
Der Vogel flog zum Löwen und der hatte eine Idee: „Vogel, willst du unser Bote sein? Dann flieg zurück. Sobald das Pony anderweitig beschäftigt ist, holst du meine Freundin.“
Das Schwein stimmte zu und der Vogel überbrachte dem leidenden Tier die ersehnte Nachricht. Es freute sich und konnte sein Glück vor dem Pferd kaum verbergen.
„Was ist los mein Freund?“
„Das Gras schmeckt köstlich.“
„Dann friss bis es dir aus den Ohren kommt!“ Der Gaul blähte seine Nüstern und rannte davon.
Eilig flog der kleine Vogel zum Schwein und holte es. Das war eine Freude. Der Löwe vertilgte die mitgebrachte Ratte und legte sich wieder hin. Voller Mitleid versorgte das Schwein den Gefährten, brachte ihm Fleisch, kämmte seine Mähne und massierte seinen schmerzenden Rücken. Es zog Stacheln aus den Pfoten und deckte den Löwen in der Mittagshitze mit großen Blättern zu.
Das Pony hatte das Treiben längst durchschaut und gab immer einen detailreichen Bericht ab. Anstatt sich ein Stück vom lebenslustigen Kuchen abzuschneiden und sich dazuzusetzen, wurde das Pferd wütend. Es war eifersüchtig, fühlte sich ausgeschlossen und begann das Schwein abgrundtief zu hassen, denn das Borstentier und der Löwe ignorierten dessen Machtanspruch und scherten sich nicht um die Anordnungen. Das Pferd kochte vor Wut, schrie und tobte mit dem Löwen und plagte ihn. Das war leicht, denn ihm fiel das Laufen schwer.
Zudem sann das Pferd auf Rache und hatte eine perfide Idee. Es ließ unter Mithilfe von zwei Füchsen, einer Hyäne und drei Eulen, eine tiefe, enge Grube ausheben und mit Ästen und Blättern abdecken. Nach einiger Zeit war das Werk vollbracht, das Pferd zufrieden. Der kleine Vogel erzählte seinen Freunden von der Wut des Pferdes. Das Borstentier verabschiedete sich und suchte sich auf der anderen Seite des Flusses ein neues Quartier. Manchmal dachte es an den Löwen und hoffte, dass es ihm wohlergehen würde. Der Gaul brachte dem König der Tiere nur sporadisch tote Mäuse, erzählte ihm, was er für ein zuverlässiger Freund sei und wie sehr er sich um Fleisch bemühen würde. Er erlaubte ihm, sich am Ufer unter einen schattigen Baum zurückzuziehen. Der Kater schloss sich wieder enger seinem Helfer an und redete, was er ihm vorgab. Das Pferd verpflichtete eine Taube, die er zufällig gefangen hatte, das enge Tal im Auge zu behalten und sofort Alarm zu schlagen, sollte sich das Schwein nähern.
Nach Monaten voller Sorge beschloss das Hängebauchschwein nach dem Rechten zu sehen. Es wollte nur mal schauen, wie es dem Löwen erging. Kaum hatte es das Ufer erreicht, wurde es schon von dem wartenden Klepper erwartet. Das Schwein rannte schnell weg und lief geradewegs in die Falle des Pferdes. Es stürmte hinterher, stoppte und sah hinein. Das Schwein hatte sich nicht verletzt, sondern sortierte sich und schrie: „Hol mich hier sofort raus!“
„Du bleibst schön da drin, dieses hübsche Loch habe ich extra für dich anlegen lassen. Du sollst dich einmal so fühlen wie ich. Na, wo ist denn jetzt deine Überlegenheit? Du bist berechnend und falsch. Ich lass mir meinen Kumpel nicht wegnehmen. Merk dir das.“
Das Schwein war entsetzt und fassungslos, so viel Bosheit hatte sie nicht einmal dem Pferd zugetraut. Es setzte sich auf den Boden und grunzte „Du kennst mich überhaupt nicht. Ich bin weder falsch noch überlegen, niemandem. Nur weil du dir nicht vorstellen kannst, dass ich deine Machtspielchen nicht mitmache, hast du es darauf angelegt, mich zu verletzen? Wenn du nur einmal zu uns gekommen wärst, hättest du erlebt, dass der Löwe voller Zuversicht und Lebensfreude war. Du hast dich um ihn gekümmert, aber Heu, Gras und Flusswasser reichen ihm nun mal nicht. Ich wollte dir nichts wegnehmen, sondern dir helfen.“
Das Pferd schüttelte seine Mähne. „Ich glaube dir kein Wort. Du bist hinterhältig, wolltest meinen Kumpel für dich haben und dich an mir rächen, weil …“
Das Borstentier unterbrach das wütende Pferd: „Weil du ein aufgeblasener Idiot bist und Freund und Feind nicht unterscheiden kannst? Hol mich hier raus.“
„Niemals. Du bist doch so schlau. Lass dir was einfallen, du wirst sowieso allen erzählen, das du in meine Grube gefallen bist.“
„Danke Pferd, das ist ja mal eine gute Idee! Oder erwartest du, dass ich dir dafür danke?“
Das war zu viel. Wortlos galoppierte das Pferd davon. Ratlos und unendlich traurig saß das Tier in der Grube. Das Pferd hatte es für seine Hilfsbereitschaft bestraft. Das Schwein blieb sitzen und fluchte. Es fror und hatte Angst. Die Geräusche des Waldes waren in der Tiefe noch einmal lauter und unheimlicher. Das Schwein hatte Mühe seine Gedanken zu ordnen und einigermaßen im Zaum zu halten. Am liebsten hätte es das Pferd geviertelt, gefedert, geteert und in den Fluss geschmissen. Es hielt es für falsch und berechnend? Berechnend? Meistens kriegte es doch gar nicht mit, dass ihm andere Fallen stellten und ausnutzten, gerade weil es so nicht dachte und immer an das Gute glaubte ... Der Gaul tickt doch nicht ganz sauber. Und wegnehmen? Dem Löwen sollte es gut gehen, er sollte leben wie er wollte.
Am nächsten Morgen hörte das Schwein Stimmen, denn seine Freunde hatten es gesucht.
„Hallo! Ist da wer?“
„Ja, ich!“
„Hallo Schwein, bist du verletzt?“
„Guten Morgen Hase! Nein. Kannst du mich befreien?“
„Ich versuche es.“ Der Hase lief vorsichtig um die Grube und trat in lose Erde.
„Du musst in der Wand eine lockere Schicht finden. Es sieht so aus, als ob ein Weg nach innen führt.“
Mit dem Vorderbein klopfte das Schwein die Wand ab. Dann hatte es den Ausgang gefunden. Die Helfer des Pferdes hatten ihre Rampe nur notdürftig zugeschüttet. Es begann zu graben. Mit viel Mühe erreichte es erschöpft und glücklich den Hasen. Er hatte, zusammen mit dem Schaf, dem Hund, dem Büffel und einer Löwin des Rudels von der anderen Flussseite von außen die lockere Erde beiseitegeschafft. Gemeinsam machten sich auf den Heimweg. Das Schwein erzählte den anderen Tieren die ganze Geschichte.
„Was wirst du jetzt machen?“
„Nichts, nach Hause gehen. Sauer sein und dem Pferd die Pest an den Hals wünschen. Früher habe ich es heimlich beneidet, es konnte alles, was mir schwerfiel und wozu ich keinen Mut hatte. Mein Fehler, in dieser Situation habe ich den aufgeblasenen Gaul unterschätzt.“ Die Tiere schwiegen.
Einzig der Büffel mischte sich ein. „Ich habe vom Vogel letzte Woche gehört, dass der Löwe sich gut erholt hat, alleine auf die Jagd geht, hihi, er steht jetzt auf Mäuse und Ratten, und das Pferd Familie und Freunde wieder duldet.“
„Was?“ Das Schwein blieb stehen und drehte sich zum Büffel um. „Was hast du gesagt? Boah, das ist der Wahnsinn, bist du sicher, dass das stimmt?“
„Warum sollte der Vogel Märchen erzählen?“
Das Borstentier hüpfte wie ein Flummi durch die Gegend und freute sich. „Dem Löwen geht’s gut, er hat seine Familie und Freunde wieder? Jippiehhh!“ Das Tier drehte sich um sich selber, tanzte um die Gruppe und hielt ihnen die Pfote hin. "Give me five!"
Die Freunde schauten das Schwein erstaunt an. „Und das Pferd?"
Das Schwein nickte. „Dieses Untier! Dafür hat es eine Grube ausheben lassen und riskiert, dass ich mich verletze? Das ist das Allerletzte!“ Das Schwein knurrte und zog eine grimmige Fratze. „Spätestens nachdem absehbar war, dass sich der Löwe erholt und wieder am normalen Leben teilnimmt, hätte der alte Klepper die Falle zuschütten müssen – was ist das für ein Tier? Ich wollte dem Löwen helfen. Das scheint ja geklappt zu haben und das freut mich sehr. Alles andere werde ich mir in Ruhe überlegen, so einfach kommt mir das Pferd nicht davon! Denn ich glaube nicht, dass das es so mutig ist, seinen Fehler einsieht und mich um Verzeihung bittet. Manchmal ist ein Schritt zurück Stärke, ob das Pferd so viel Rückgrat hat, wird sich zeigen. Und jetzt freuen wir uns, dass es dem Löwen gut geht und ich viele liebe Freunde habe!“ Gemeinsam liefen die Freunde über den Fluss und feierten bis tief in die Nacht.
In den nächsten Monaten wartete das Schwein auf eine Reaktion des Pferdes. Nichts, kein Wort der Entschuldigung, kein Wort über den Löwen. Als der Büffel mal wieder vorbei schaute und sich nach dem Stand der Dinge erkundigte, sagte das Schwein: "Ich gebe dem Pferd noch eine kurze Frist, dann rufe ich den Rat der Weisen an."

© Tina Doerwald 2023

 

 

tina doerwald 2021


Ich begrüßte am frühen Sonnabend mein Auto
„Guten Morgen Frl. Schmidt!“
und stieg ein. Mein gelber Touran brummte zuverlässig los. Nach eineinhalb Stunden kamen wir auf dem Übungsgelände für Auto- und Motorradfahrer, einem ehemaligen russischen Flughafen an. Ich lief zur Anmeldung, wo die anderen Teilnehmer und Otto, unser Trainer warteten. Er gab eine kurze Einführung, verteilte eingeschaltete Funkgeräte und bat uns, nicht an den Knöpfen zu spielen.
Alle Fahrer begaben sich zu ihren Autos, stiegen ein, starten und reihten sich hinter Ottos blauem Übungs-BMW ein. Mein Auto blieb stehen, ich konnte Gas geben und kuppeln so viel ich wollte, es rührte sich nicht. Erst als alle anderen, nach einer Ehrenrunde wieder an uns vorbeikamen, rollte Frl. Schmidt einsfixdrei über den Platz und drängelte sich hinter den BMW. Ich war sehr irritiert.
„Der Touran bitte nicht so stürmisch.“ Das Funkgerät ließ Ottos Stimme erahnen.
„Der Touran hat einen Namen: Ich heiße Schmidt. Frl. Schmidt.“
Meine Kinnlade fiel in den Keller …
Otto antwortete: „Ich nenne immer nur den Autotypen und ich dachte Sie heißen Meyer.“
Ich zog es vor zu schweigen und fuhr den Slalomkurs hinter Otto her. Er stellte seinen BMW nach der zweiten Runde ab und erteilte die letzten Instruktionen.
Zaghaft fuhr ich mit 40 km/h zwischen den Stäben hindurch.
„Na Touran, da geht doch noch was!“
„Der Touran heißt Frl. Schmidt. Merk dir das.“ Ungehalten quäkte die Stimme über den Äther und rollte zurück zur Startposition. Ich schwieg auch diesmal.
Einen Moment später hatte Otto das Zeichen zur zweiten Runde gegeben. Frl. Schmidt sauste mit quietschenden Reifen die Strecke entlang. Mir verging Hören und Sehen. Ich krallte mich in die Sitze, das Lenkrad hätte mir sonst die Arme gebrochen.
„Jippieh!“
„He Touran sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Das waren mindestens 100km/h.“
„Zum allerletzten Mal, Schmidt, Frl. Schmidt. Und ich kann noch schneller. Los ihr Loser, zeigt mal, was ihr draufhabt!“
„Bitte fahr langsamer, sonst …“ flüsterte ich.
Viele Stimmen schimpften über Funk durcheinander. „Loser! Was soll das denn heißen?“
„Spinnst du? Ich zeige dir was ‘ne Harke ist.“ Der grüne Audi scherte aus und beschleunigte. Der Miene seines Fahrers nach zu urteilen, hatte ER damit nichts zu tun.
Ein schwarzer Twingo setzte sich in Bewegung. „Platz da, ich komme!“
Und der in die Jahre gekommene Golf röhrte dicht neben Frl. Schmidt: „Na Süße, kleines Rennen gefällig?“
Ehe ich überhaupt reagieren konnte, fegte Frl. Schmidt am Golf vorbei über den Flugplatz, dicht gefolgt vom Rest der beteiligten Fahrzeuge. Sie überholte zügig den Audi und den Twingo und bog dann links in den Kreisel ab. Ein älterer Daimler verpasste diese unverhoffte Aktion und knallte in den Reifenstapel. „Miststück!“, plärrte es über den Funk.
Otto stand an seinem Platz. „Meine Damen und Herren, der Kreisel kommt erst ganz zum Schluss dran. Bitte kommen Sie her.“
„Aber ich bin Erste.“ Frl. Schmidt verließ das Rondell und fuhr brav zur Startlinie zurück.
Sowie die Autos standen, rissen ihre Fahrer die Türen auf und sprangen hinaus. Einige übergaben sich sofort, andere gingen auf Abstand zu ihrem Fahrzeug.
Otto fuchtelte wild mit den Armen und kreischte völlig außer sich: „So einen bescheuerten Kurs habe ich ja noch nie gehabt. Wenn das noch einmal vorkommt, breche ich die Veranstaltung ab.“
Unwilliges Motorengeheul schallte über das Gelände.
Und eine neue Stimme schrie über Funk: „Otto, stell dich nicht so an. Wir wollen doch nur unseren Spaß haben.“ Der blaue Übungs-BMW knallte die Fahrertür zu. „Und damit du es weißt, ich fahre jetzt auch mit!“

 

© Tina Doerwald 2021
tina doerwald 2021

Matti hat Geburtstag

 

Matti saß an einem sonnigen Oktobermorgen an seinem Schreibtisch. Er dachte an seinen bevorstehenden 65. Geburtstag. Das musste ordentlich gefeiert werden, dieses Jahr wollte er richtig Party machen.
Er war Professor für Mathematik und sah in Zahlen und komplizierten Berechnungen seine wahre Bestimmung. Just in diesem Moment fiel ein gerahmtes Foto von der Wand. Matti hob es auf. Es war viele Jahre alt und zeigte seine Geschwister und Heike, eine Ex-Freundin. Mensch, war das lange her.
Inzwischen spielten Frauen nur eine sehr untergeordnete Rolle in seinem Leben.
Essen ist der Sex des Alters, so sein Credo.
Sollte er sie einladen? Nein, zu allen war die Verbindung abgebrochen.
Sabine war mit fünf Jahren Abstand zu ihm die Älteste, seiner Geschwister. Zweiundzwanzig Jahre ohne Kontakt, waren eine lange Zeit. Ruth, verwitwet, wohnte in … ja wo eigentlich? Klaus, sein jüngerer Bruder, lebte seit seinem Outing vor sechsundzwanzig Jahren in London, fernab aller Zwänge, weit weg von den verletzenden Beleidigungen seines großen Bruders, denn Matti war nicht fein in seiner Wortwahl.
Matti schluckte. Ein Gefühl der Trauer schlich sich in seine heile, gemütliche Welt.
Und Heike? Die erst recht nicht, denn sie fuhr ihn Anfang dieses Jahres mit ihrer Honda über den Haufen. Er hatte an seinem Handy herumgefummelt ohne zu merken, dass die Ampel längst wieder rot war. Heike versuchte noch auszuweichen. Trotzdem hatte sie ihn mit der Packtasche erwischt, sich mächtig erschrocken und ihn angeblafft: „Ey, Kumpel, wenn du Selbstmord machen willst, such‘ dir ‘nen andern Doofen!“
Der fluchende Depp saß auf der Straße.
Sie stellte die Honda ab und klappte das Visier hoch. Da erst erkannte sie ihn.
„Hey Matti, alles in Ordnung, bist du verletzt?“
Er rappelte sich auf und sah sie an. „Du?“
Matti war unverletzt, überrascht und nach dem ersten Schreck erfreut Heike zu sehen. Sie gingen zusammen Kaffee trinken. Es überkam ihn ein lange nicht gekanntes Gefühl von Zufriedenheit. Sie wollte das Treffen gern wiederholen. Matti nicht, denn Heike passte nicht in seine angesehene Professorenwelt. Wer rannte schon mit 60 in Lederklamotten und mit Piercings im Gesicht durch die Gegend? Er wollte gar nicht daran denken, wo diese Dinger noch überall sein könnten.
Was würden seine Freunde und Mitarbeiter denken? Da konnte er doch nicht mit so einer Motorradbraut auftauchen! Sicher, ihre Formen und weiblichen Kurven hatten etwas sehr Erotisches. Sie war bestimmt schön weich und anschmiegsam ...
Wäre sein Ehrentag nicht ein prima Anlass, um sich mit seinen Geschwistern zu versöhnen und Heike anzurufen?
Was das kosten würde! Matti verwarf die Idee. Zufrieden zählte er insgesamt acht Personen. Er googelte einen Kartenservice, suchte Einladungskarten aus und ließ sie verschicken.
Sein Geburtstag verlief so, wie Matti es sich wünschte. Einige Anrufe von Kollegen und Blumengrüße vom Leiter der Fakultät erreichten ihn bis zum Mittag.
Zur besten Kaffeezeit erwartete ihn dann eine Überraschung! Es klingelte und Sabine, Ruth, Klaus und Heike standen vor der Tür.
Herzlichen Glückwunsch, Matti!

© Tina Doerwald 2019

tina doerwald 2017

Marion hatte eine rauschende Party besucht und blinzelte in die Morgensonne. Ihr Bett stand vor dem Fenster, es würde ein sonniger Septembermorgen werden. Sie stand noch ganz unter dem Einfluss der Eindrücke, die sie gestern gewonnen hatte.
Eine große, ach was eine sehr große Firma hatte ihr einen gut bezahlten Arbeitsplatz angeboten und sie hatte, ohne lange zu zögern unterschrieben. Es waren ungefähr 30 Leute erschienen, gut gekleidet, sehr darauf bedacht den besten Eindruck zu hinterlassen. Sie standen in kleinen Grüppchen oder an nett gedeckten Tischen Fingerfood essend zusammen und wurden vom neuen Chef persönlich durch die leeren Großraumbüros geführt. Marion bekam einen Schreibtisch in der Nähe des Fensters, gerade so platziert, dass die Sonne nicht blenden würde. Wie sie sich erinnerte gab es einen Sonnenschutz vor dem Fenster, vermutlich elektronisch geregelt. Ihr Platz war mit einem größeren Schreibtisch und einem sehr modernen PC ausgestattet, ebenso mit Anschlüssen für ein Telefon und ein Tablet. Beides noch nicht da, doch der Chef hatte erklärt, dass am Wochenende die fehlenden Geräte aufgebaut würden, sodass jeder/jede der neuen Mitarbeiter am Montag sofort an die Arbeit gehen könnte. Marion freute sich auf die Herausforderung und auf die neuen Kollegen, sie hatte sogleich Anschluss gefunden und sich mit einigen bekannt gemacht.
Holger erwachte und streckte seine Hand unter der Bettdecke hervor um sie zu streicheln. Sie kuschelte sich kurz an ihn und sprang aus dem Bett. Nachdem Marion geduscht hatte, bereitete sie das Frühstück und einen Picknickkorb vor. Sie wollte mit Holger den letzten freien Sonntag vor dem Neustart mit einem Ausflug in die Heide genießen. Montagfrüh brachte Holger sie zur Arbeit und begleitete sie zu ihrem Büro.
„Guten Morgen Frau Schönberg, mein Name ist Rathemow und ich bin für die nächsten 6 Jahre Ihre direkte Vorgesetzte und Ansprechpartnerin. Bitte gehen Sie in den Auskleideraum und legen ihre Kleider in den ihren Schrank. Augenblick – Sie haben die Nummer 19.“
Verwirrt blickte Marion die Dame an.„Wieso ausziehen? Gibt es hier Arbeitskleidung? Davon habe ich gar nichts mitbekommen!“
„Arbeitskleidung? Sie arbeiten nackt! Was glauben Sie, warum Sie so fürstlich bezahlt werden? Vielleicht hätten Sie ihren Vertag genauer durchlesen sollen.“
Holger brachte keinen Ton hervor und Marion klammerte sich an seinen Arm.„Holger, das ist ein furchtbarer Irrtum – ich werde hier nicht nackt arbeiten! Bitte nimm mich mit nach Hause!“
Marion begann zu weinen. Holger legte schützend den Arm um sie.
„Was bilden Sie sich ein? Nacktarbeit? Was sagt denn die Gewerkschaft dazu?“
„Die Gewerkschaft hat das mit der Auflage, dass niemand angefasst werden darf, genehmigt. Übrigens haben Sie mit Ihrer Unterschrift bestätigt, dass Sie über unsere Firma absolutes Stillschweigen bewahren. Sie haben sich für mindestens 4, bestenfalls für 6 Jahre verspflichtet. Wollten Sie uns früher verlassen, wird im ersten Jahr eine Konventionalstrafe von 100.000,- € fällig und zwar zum letzten Arbeitstag.“
Marion hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden. Der Boden sackte unter ihren Füßen weg und sie weinte hemmungslos. Sie fühlte sich in ihre Kindheit versetzt, erster Schultag war genauso schlimm. Da half auch niemand dem kleinen Mädchen. „Holger hilf mir“, bettelte sie.
Holger streichelte ihre Wangen und zog sie fest an sich. Doch dann schob er sie ein Stück von sich weg und sagte:„Marion, Du hast diesen Vertrag unterschrieben, Du hättest ihn sorgfältig lesen müssen und dann abwägen sollen. Offensichtlich hast Du das nicht getan…“ Holger schüttelte den Kopf.„Da musst Du jetzt durch. Wir brauchen jeden Cent. Stell Dich nicht so an, Du bist attraktiv und siehst gut aus. Lass die doch gucken. Ich guck ja auch gerne!“
Marion weinte und schluchzte zum Herzerweichen. Doch Holger blieb hart.„Geh jetzt mein Schatz. Je eher Du Dich daran gewöhnst, desto eher hast Du kein Problem mehr damit. Und“, fügte er hinzu, „denk an das Geld. Das wird Dir die Arbeit erleichtern.“
Marion war wie betäubt.
Da kam eine weitere Frau um die Ecke und führte Marion am Arm in den Auskleideraum.
„Sie werden sich damit arrangieren. Die ersten Tage sind gewöhnungsbedürftig. Aber, Frau Schönberg, Sie haben einen tollen Körper, Sie sind gut trainiert und nicht dick. Wir achten bei der Einstellung auch darauf. Manchmal müssen wir auch nicht so ansehnliche Menschen einstellen, dann sehen unsere Vorgesetzten natürlich lieber auf die hübschen. Man ist ja Ästhet.“
Sie lächelte freundlich.„Und nun beeilen Sie sich. Ihre Zeit läuft. Alles was Sie später anfangen, müssen Sie nacharbeiten und glauben Sie mir, es ist nicht angenehm alleine den Blicken der Vorgesetzten ausgeliefert zu sein.“

 

©Tina Doerwald 2016

tina doerwald 2013

 

 

„Wo soll ich denn hin?“
Pause.
Im Stillen zähle ich: Eins, zwei, drei, vier.
„Wo soll ich denn hin?“
Pause
Fünf, sechs sieben acht.
„Wo soll ich denn hin?“
Mutter sitzt auf ihrem Sessel im Wohnzimmer und ruft so laut, dass sich eine nahende Heiserkeit bereits andeutet.
„Wo soll ich denn hin?“
Mir fällt gleich mein rechtes Ohr ab.
Ich war vor genau einer Minute im Wohnzimmer und habe sie gefragt, wo sie denn gerne hin möchte:
„Ich - wo soll ich denn hin? Ich sitze doch hier in meinem Sessel.“
„Na dann ist ja alles in Ordnung.“
Ich bin in der Küche und bereite das Mittagessen vor. Natascha, unsere 24Std-Fachpflegekraft hat heute frei und ich kümmere mich um meine Mutter.
„Wo soll ich denn hin?“
Ich drehe den Wasserhahn zu und laufe wieder zu ihr. Sie sitzt auf der vorderen Kante des Sessels und blickt mich erwartungsvoll an.
„Komm doch mit in die Küche.“
„Nein. Ich will nicht.“
„Na dann bleib im Wohnzimmer sitzen, ich mache Mittagessen.“
„Fein, was gibt es denn?“
„Es gibt Senfeier mit Kartoffelbrei.“
„Mmh lecker.“
Ich begebe mich wieder in die Küche und schäle weiter.
„Was gibt es zu essen? Ich habe Hunger.“
Die Stimme aus dem Wohnzimmer: Ich zähle für mich.
Eins, zwei, drei, vier.
„Ich habe Hunger.“
Ihre Stimme hat etwas sehr Forderndes.
„Es gibt gleich was zu essen!“
Ich bemühe mich um einen angemessenen Tonfall.
 „Ich habe Hunger!“
Mit Nachdruck und noch lauter.
„Ich habe Hunger!“
„Mutter ich mache gerade Kartoffelbrei.“
„Kenne ich nicht, ich habe Hunger!“
Also wieder ins Wohnzimmer.
„Mutter du kennst Kartoffelbrei – du kannst auch Kartoffelpüree sagen. Das kennst du.“
„Ja, dann ist gut. Kartoffelpü, sag' das doch gleich.“
„Möchtest du nicht doch in die Küche kommen?“
„Nein, mein Sessel ist so bequem.“
Eine weitere Kartoffel ist geschält, kleingeschnitten und liegt im Topf.
„Ich habe Hunger.“
„Es gibt gleich was zu essen!“
Ich beginne erneut zu zählen. Das soll ja helfen! Eins, zwei, drei, vier.
„Ich habe Hunger!“
„Mutter komm her. Dann kannst du zugucken und siehst wann das Essen fertig ist.“
„Was gibt es denn zu essen?“
„Senfeier.“
„Was ist das?“
Die Stimme ist laut und schrill.
Gekochte Eier mit Senfsoße und Kartoffelpü.“
„Was ist das?“
„Mutter komm her.“
„Was hast du gesagt?“
Ah, jetzt ist ihr eingefallen, dass sie auf dem rechten Ohr taub ist.
„Mutter komm her, sonst kann ich das Essen nicht fertig machen. Setz dich zu mir in die Küche.“
„Ich kann dich nicht verstehen. Was hast du gesagt?“
Ich hole ihren Rollator unter der Treppe hervor und schiebe ihn zu ihr.
„Hier, nimm den Rollator und komm mit. Aufstehen, zum Flur gucken und in die Küche kommen.“
„Ich will aber im Sessel sitzen.“
„Ist gut.“
Da sich das Essen nicht alleine kocht, verschwinde ich aus ihrem Blickfeld.
„Wo bist du denn?“
„Hier in der Küche.“
„Was machst du denn?“
„Ich schäle Kartoffeln.“
„Fein, ich habe ja auch Hunger!“
„Das habe ich gehört.“
Mal sehen, wie lange sie diesmal braucht, um mir kundzutun, dass sie Hunger hat. Eins, zwei, drei, vier…
„Ich habe Hunger. Gibt es denn heute was zu essen? Wer ist denn hier? Ist jemand hier?“
„Ja, Mutter, ich bin hier und koche Eier.“
„Was kochst du?“
Ich gehe abermals ins Wohnzimmer und zeige ihr ein Ei.
„Mutter, was ist das?“
„Ein Ei. Frag doch nicht immer so dummes Zeug! Bloß weil ich über 80 bin, bin ich ja nicht blöd. Was gibt es zu essen? Ich habe Hunger.“

 

© Tina Doerwald 2014


Tina Doerwald 2013


Auf Seite 15 unten stand ein kleiner Artikel in der Tageszeitung, der Christine sofort fesselte:
'Auf der letzten Abgeordnetenversammlung am 25. März wurde beschlossen, dass alle Berliner Senatoren und Senatorinnen sowie der Regierende Bürgermeister, ab sofort den Bezug zur Bevölkerung herstellen müssen und mindestens 1 Woche hautnah die Realität am eigenen Leibe erfahren sollen.
Verweigern sie diesen Dienst oder werden sie beim Schummeln erwischt, drohen Geldstrafen, im schlimmsten Fall der Rücktritt aus dem Amt. Vorschläge werden ab sofort unter www.berlin.de/realitaet angenommen. Aus allen Vorschlägen werden die besten ausgewählt und dann, nach Abwägung aller Risiken, zur Abstimmung gegeben. Weitere Einzelheiten folgen in Kürze.'
„Das ist ja toll“
Christine griff zum Smartphone und rief ihren Mann an.
„Hast du schon die Zeitung gelesen? Auf Seite 15 unten steht ein sehr interessanter Artikel!“
Andreas überflog die Zeilen.
„Und?“
„Ich werde unseren Bürgermeister einladen."
„Das ist doch bestimmt eine klassische Zeitungsente.“
„Ich probiere es trotzdem.“
Die Resonanz auf diesen kleinen Artikel war überwältigend. Die Server brachen unter der Flut der Angebote zusammen. Praktisch jeder Berliner und auch viele Brandenburger wollten die Senatoren einladen.
Alle denkbaren Probleme wurden publiziert. Die Zeitungen kannten nur noch ein Thema.
Die internationalen Medien schlachteten den Beschluss gebührend aus und Politiker aus aller Welt zeigten sich interessiert.
Es lagen Angebote von Lehrern und Schülern vor, in völlig maroden Schulen die Woche zu verbringen und jeden Tag mindestens einmal das Schulklo zu besuchen, eine Reinigungsfirma bot einen Arbeitsplatz an, Kitas boten Praktika. Justizangestellte luden nach Tegel in den Knast, Angestellte von Discountern luden zum Regalefüllen und Kontrolleure bei Bus und Bahn erzählten von ihren aufregendem Leben. Auch eine Recyclingfirma wollte einen Praktikanten, eine Praktikantin einstellen.
Mütter aus Frohnau, Pankow und Dahlem boten ihren Kinderstress an: Haushalt, Arbeit, Yoga und 6 Tage die Woche die Kinder zum Tennis, Chor, Klavierunterricht, Ballett, Fußball und zur Nachhilfe bringen.
Mittendrin die Einladung von Christine.
Die einladenden Berliner mussten aufwendiges Prozedere ertragen. Vordergründig waren Sicherheitsprobleme das Thema, aber hinter vorgehaltener Hand und ohne Kamera, berichteten die  Staatssekretäre der Senatoren, dass sie eigentlich keine Lust hätten, sich auf die Realität einzulassen.
Einige wurden nervös und unruhig.
Am 31. August standen die 1wöchigen Aufenthalte und Praktika fest.
Am 4. September hielt ein unscheinbares Auto in Reinickendorf, in der Uranusstr., direkt neben dem Flughafen Tegel.
Etwas später begehrten ein Bodyguard und der Regierende Bürgermeister nebst vier Koffern Einlass bei Christine.
In diesem Moment donnerte in ungefähr dreißig Metern Höhe ein Flugzeug über das Haus.
Christine blieb gelassen.
Die Besucher zogen erschrocken die Köpfe ein, wurden aschfahl im Gesicht, ließen Christine stehen und suchten mit einem Hechtsprung Schutz hinter ihrem Fahrzeug.

© Tina Doerwald 2013

 

 

Tina Doerwald 2013

Cornelia stellte die Gläser auf die Anrichte, hob den Kopf und schlug die Augen nieder. „Alex, bitte.“
„Nein!“
Hochrot im Gesicht schrie Alex sie an und wischte einige der ordentlich aufgereihten Schuhkartons vom Tisch. „Du bist ja völlig verrückt geworden. Was haben die gekostet?
„1769,00 €“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
„Soll ich mir deine blöden Treter auf die Stulle schmieren? Ich versuche unsere Kochkurse am Laufen zu halten und Du kaufst Schuhe.“ Er schnappte hörbar nach Luft, nahm ein Paar hochhackige rote Pumps aus einem Karton und schmiss sie gegen die Wand, dass es nur so krachte.
„Alex, bitte.“
Alex nahm das nächste Paar, wunderschöne helle Wildledersandaletten. Auch die flogen mit voller Wucht gegen die Tapete.
Cornelia schüttelte ihren Kopf. „Alex, bitte mach’ sie nicht kaputt.“
„Du wagst es mir zu sagen, was ich tun soll?“ Alex hob eine Schachtel mit dunkelgrünen Gummistiefeln vom Boden auf. Auch die feuerte er durch den Raum. „Gummistiefel mit Bratkartoffeln oder…“, er kramte weiter, „schwarze Schaftstiefel mit Sauerkraut und Kartoffelpüree!“ Seine Zornesader auf der Stirn schwoll an. „Blaue Clogs mit Salatgarnitur und Schnitzel, Brathühnchen mit Pommes und zartrosa Badelatschen. Oder wie wäre es mit gefüllten Hausschuhen und Vanillesoße?“
„Alex, bitte.“
„Geröstete Klapperlatschen mit Prinzessböhnchen und Kroketten.“ Auch die Klapperlatschen flogen im hohen Bogen durch das Zimmer. Alex wühlte weiter und zog weiße Turnschuhe aus dem Stapel. „Turnschuhe mit Apfelmus und Zimtzucker.“ Seine Stimme wurde leiser. Er atmete tief aus und beißender Spott begleitete die nächsten Worte. „Ich sollte ein Restaurant aufmachen, nein, besser Du machst ein Restaurant auf. Die Hauptzutat hast du ja schon. Vielleicht rufst du bei Johann an und holst dir Tipps für die optimale Garzeit oder du fragst bei Alfons nach einer Gewürzmischung. Vergiss nicht frische Kräuter hinzuzufügen, der Tim aus der ersten Reihe kommt dann bestimmt auch mal vorbei.“ Wieder flogen Schuhe durch das Zimmer, diesmal hellgrüne Ballerinas. „Die könntest du mit Waldbeerensoße an Vanillemousse servieren.“ Er schaute Cornelia grimmig an.„Steffen und Frank kommen bestimmt auch gern vorbei und bewerten deine Köstlichkeiten.“
Alex angelte das nächste Paar. Es war noch eingepackt. Er öffnete den Deckel und stutzte.
„Wieso bestellst du Kinderschuhe?“
„Alex, bitte, lass mich doch erklären …!“
In diesem Moment betrat Lea, die Nachbarin mit einer Flasche Schampus in der Hand den Raum.
„Was ist denn hier los? Warum liegen meine Schuhe hier kreuz und quer in eurem Wohnzimmer?“
Cornelia prustete los. Sie lachte bis ihr die Tränen über das Gesicht liefen und sie sich auf den blauen Teppich setzen musste.
Alex hielt noch die Kinderschuhe in der Hand und zog eine Augenbraue hoch. „Cornelia, hör auf so hysterisch zu lachen.“
„Alex, bitte gib mir die Schuhe.“ Lea versuchte die Situation zu verstehen und schaute ratlos von einem zum anderen. „Alex, warum schmeißt du meine Schuhe durch euer Wohnzimmer, bist du von allen guten Geistern verlassen?“
Alex sah so bescheuert aus, dass Cornelia einen neuen Lachanfall bekam und mit den Füßen strampelte.
„Aber wieso deine Schuhe? Sie stehen hier, Conny hat gesagt was sie gekostet haben …“
„Das mag schon sein, wir wollten sie hier anschauen, weil bei mir kaum noch Platz ist  und die Bestellung feiern. Ich habe sie für meinen neuen Shop gekauft, um sie weiterzuverkaufen!“
Sie grinste von einem Ohr zum anderen. „Alex, kann es sein, dass du dich eben zum Horst gemacht hast?“

© Tina Doerwald 2012

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